Herkunft der Sylterwilde

Sand ist nicht gleich Sand. Mir ist aufgefallen, daß die Strukturen aus unterschiedlich großen, verschiedenfarbigen Sandkörnern entstehen.

Die Windstärke ist maßgeblich dafür verantwortlich, wie hoch der Wellengang der Gezeiten ausfällt. Je höher die Wellen, desto tiefer werden die Strukturen in den Sand eingegraben. Es entstehen reliefartige “Landschaften” von einzigartiger Schönheit.

Eine leichte, kaum spürbare Brise, auch wenn diese die Ausnahme auf der Insel ist, hinterläßt zarte, fein nuancierte Verläufe und harmonische Übergänge. Stetiger, gleichmäßiger Wind hinterläßt eher regelmäßige Muster, böiger Wind aus unterschiedlichen Richtungen zieht eher chaotische Muster nach sich, deren zufällige Komposition große Kraft ausstrahlt.

Es erübrigt sich, auf das einzigartige Licht hinzuweisen, welches die Insel zu etwas so Besonderem macht. Da diese Bilder aus der freien Hand aufgenommen werden, ist es unerlässlich, genügend Licht zu haben, um die Verschlusszeiten so kurz wie möglich zu halten.

Die hier gezeigten Bilder entstanden über den Zeitraum von fünf Jahren bei unzähligen Strandbesuchen an der Westseite der Insel Sylt. Einige Parameter sind Grundvoraussetzung, um diese Bilder überhaupt fotografieren zu können. Erst, wenn sich das Meer weit genug zurückgezogen hat, also eine Stunde vor absoluter Ebbe und eine Stunde danach werden die Bilder im Sand sichtbar. Von großem Vorteil ist, wenn der Wind aus Ost- Südost- oder Nordost kommt. Leider kommt das auf der Insel nur sehr selten vor. Wenn der Wind aus Westen kommt, sollte er nicht stärker als 3 Beaufort sein, da die Ebbe sonst den Flutsaum nicht weit genug freigibt.

Die besten Bedingungen finde ich vor, wenn im Sommer die Ebbe möglichst früh - ca. gegen fünf Uhr - eintritt. Zu dieser Zeit kommen nur sehr wenige Strandgänger ans Meer und die Sandbänke liegen jungfräulich, also ohne menschliche Spuren da.

Ich habe in der Nachsaison gute Vor - und Nachmittage gehabt und einige Motive festhalten können. Die Monate von Oktober bis Weihnachten und von Januar bis März/April sind mir ohnehin am Liebsten, weil man den Strand oftmals ganz für sich hat.

Die Westseite von Sylt ist immerhin 40 Kilometer lang. Ich habe jeden Abschnitt bei Ebbe erwandert und festgestellt, daß die Lohnendsten zwischen Söl’Ringhof und Sansibar liegen. Hier bilden sich oft Sandbänke, die man nur durch eine vorgelagerte Lagune erreicht. Ich erinnere mich an einen besonders erfolgreichen Morgen, an dem mich die Vielfalt der Strukturen so in ihren Bann gezogen hat, daß ich nicht gemerkt habe, wie weit die Flut schon fortgeschritten war. Ich konnte das Ufer nur noch schwimmend erreichen, den einen Arm in die Luft gestreckt, um meine Kamera zu retten.

Die Strände von Hörnum, Westerland, Kampen und List haben andere Sandbeschaffenheiten, die, warum auch immer, kaum interessante Strukturen bilden.

Weil das Zeitfenster zum Fotografieren so knapp bemessen ist, habe ich mir die interessantesten Strandabschnitte bei Ebbe buchstäblich erwandert. Und obwohl einzelne Sandbänke spezifische Merkmale aufweisen, sind die Motive an ein und dem selben Abschnitt von Tag zu Tag unterschiedlich. Die Vorbereitung, normaler Weise essentiell für gute Fotographie, ist für diese Bilder nur selten Garant für interessante Motive. Schlußendlich sind Wind und Wetter nur bedingt vorhersagbar. Vielmehr ist die Erfahrung, die ich auf der Suche nach diesen Gemälden der Gezeiten über die Jahre gesammelt habe, wichtiger und hilfreicher als akribische Planung es sein könnte.